Was die Medien uns warum verschweigen
Unabhängige Studenten suchen nach totgeschwiegenen Themen
Die Initiative Nachrichtenaufklärung veröffentlicht zum neunten Mal in Folge ihre Top Ten der am meisten vernachlässigten Themen in den deutschen Medien. Seit 1997 kümmert sich die "Initiative Nachrichtenaufklärung" (INA) in Dortmund nach dem Vorbild der amerikanischen "Project Censored" um verheimlichte oder vernachlässigte News. Einmal im Jahr gibt die Organisation ihre Hitliste der Nachrichten heraus, die zwar hochbrisant und interessant waren, aber dennoch unter den Tisch gekehrt wurden.
Wie heute bekannt wurde, gehörten Kampf gegen Korruption, verbotene Gifte im Essen, unsichere Wahlmaschinen und unkontrollierte Aktivitäten des Geheimdiensts zu den journalistisch wichtigen Themen, die dennoch in der Berichterstattung vernachlässigt wurden. Auch Themen wie: "Aus Deutschland abgeschoben - und dann?", "Auf dem Weg in die Europäische Militärunion", "Gesundheitsreform bedroht Privatsphäre" oder auch "Ärger mit Kundendatenbanken" hielten 2005 keinen Einzug in den Blätterwald. Um die vernachlässigten Themen zu entdecken, haben zwei Teams von Journalistik-Studenten der Universitäten Dortmund und Bonn das ganze letzte Jahr hindurch recherchiert.
Insgesamt fanden die Profis heraus, dass 23 Themen sträflich vernachlässigt wurden. Heute nun tagt eine Jury aus Journalisten und Wissenschaftlern, um aus mehr als 20 Themen die Top Ten auszuwählen. Als Geheimtipp auf den ersten Platz der todgeschwiegenen Nachrichten gilt die Tatsache, dass Deutschland nicht dabei war, als die UN-Konvention gegen Korruption am 14. Dezember 2005 in Kraft trat. Sie verbietet Politikern jegliche Annahme von Präsenten und Annehmlichkeiten und macht eine schärfere strafrechtliche Verfolgung möglich. Bislang wird die Vorteilsnahme bei deutschen Bundestagsabgeordneten nur dann strafrechtlich verfolgt, wenn der Verkauf einer Stimme bei einer Abstimmung nachgewiesen werden kann.
Auch die Tatsache, dass sich das Megaunternehmen Coca Cola auf Kosten armer indischer Bauern bereichert und ihnen das dringend benötigte Wasser entzieht, wäre durchaus eine Schlagzeile wert gewesen. Die Arbeit der Journalistikstudenten ist auch deshalb schwierig und heikel, weil gerade bei derartigen Themen viele Leute ein Interesse daran haben, dass die Öffentlichkeit nichts davon erfährt. Deshalb folgt die INA den Hinweisen aufmerksamer Leser und Journalisten, durchforstet das Internet und Pressedatenbanken und spricht mit kompetenten Wissenschaftlern.
Was die Öffentlichkeit erfährt oder nicht, entscheiden Agenturen und Redaktionen anhand sogenannter "Nachrichtenfaktoren". Diese Filter werden besonders bei Nachrichten aus dem Ausland aktiv oder wenn es Menschen betrifft, die uns nicht nahe sind. Die Nähe zum Zuschauer ist eines der wesentlichen Kriterien bei der Nachrichtenauswahl. Auch was neu und aktuell ist, soll möglichst schnell durch die News. Dabei fehlt oft die Zeit für gründliche Gegenrecherchen oder Hintergründe. Auch komplexe Themen werden nur oberflächlich und häufig auch nur in einem bestimmten Licht beleuchtet. Dazu gehören besonders Technikthemen wie die Wahlmaschinen, deren Sicherheitslücken erst bei der Wahl offensichtlich wurden.
Da allerdings war das Thema schon wieder durch und die Wahl gegessen. Obwohl sie politisch brisant waren, kam das Thema Wahlmaschinen auch aufgrund seiner Komplexität nicht in die Zeitungen. Die Dortmunder Nachrichtenaufklärer fanden einen Fehler im Sozialgesetzbuch, der es Arbeitslosen bis vor kurzem fast unmöglich machte, ihr rechtmäßiges Arbeitslosengeld zu bekommen. Laut Gesetz nämlich blieben genau 24 Stunden Zeit sich arbeitslos zu melden. Spätestens drei Monate vor Ende des Arbeitsverhältnisses, aber auch frühestens an diesem Tag musste die Meldung erfolgen, sonst wurde das Geld gekürzt. Weil das Thema nicht ausreichend besprochen wurde, mussten viele Menschen Kürzungen hinnehmen.
Das liegt wohl auch daran, dass Arbeitslose eine Gruppe sind, die nicht so häufig in den Medien vorkommt wie Prominente oder Politiker. Ihre Realität ist eben nicht erfreulich. Arbeitslose sind meist nur als anonyme Millionenzahl ein Thema. Dagegen wissen wir über einige Prominente oft mehr, als uns lieb ist. Abstrakte Themen liegen in der Gunst der Nachrichtenmacher weit hinter persönlichen. Aufgrund dieser "journalistischen Grundsätze“ sind Fehler im Sozialgesetz zu abstrakt, die persönliche Geschichte über leidtragende Opfer wollen die Journalisten nicht und über Täter können sie nicht berichten, weil nicht nur ein Einzelner für das Dilemma verantwortlich ist. Bleibt nur zu hoffen, dass sich die Nachrichtenagenturen und Journalisten mit der Kritik der INA auseinandersetzen und dem Bürger auch komplexere, vielleicht sogar unerfreuliche Themen "zumuten“.
www.3sat.de/nano/bstuecke/88728/index.html
Über dieses Thema gibt es noch mehr sehr interessante Berichte in diesem Link - er ist wirklich lesenswert -
Kerstin