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Putziger Zugvogel oder Vorbote einer
Pandemie? In China sind Streifengänse zu Tausenden an einem
mutierten Grippe-Virus verendet.
Foto: dpa
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Die Angst ging schon seit ein paar Wochen um.
Nun haben sich die Befürchtungen der Grippeexperten bestätigt: Die
tausenden Zug- und Wasservögel, die seit Ende April in einem
chinesischen Naturschutzgebiet verenden, sind tatsächlich Opfer des gefürchteten
Vogelgrippe-Virus H5N1. Das berichten zwei chinesische Forschergruppen in
den Fachblättern Nature und Science.
Aufs erste Vernehmen mag die Nachricht nicht besonders erschrecken.
Schließlich ist in Südostasien seit dem Jahr 2003 Hühnervieh
millionenfach an H5N1 verendet. Und das hat bisher nur jenen
Seuchenexperten und Gesundheitspolitikern den Schlaf geraubt, die immer
wieder warnen, die Vogelkrankheit könnte bald zu einer verheerenden
Seuche unter Menschen mutieren. Doch der Befall der Wildvögel am
westchinesischen Qinghai-See mit H5N1 verleiht dem Schrecken jetzt ein
neues Ausmaß.
Unheimliche Wandlung
Bislang nämlich dachten Fachleute, Wildvögel könnten
sich mit dem unter zahmen Hühnern und Enten grassierenden Virus kaum
anstecken. Dass es nun doch so häufig geschehen ist, lässt
Seuchenbeobachter erschaudern. Denn das westchinesische Massensterben lässt
ahnen, dass sich das Virus verändert hat. Und das bestätigen die
Forscher um Jinhua Liu von der China Agricultural University in Peking
und Yi Guan von der Universität in Shantou auch mit Gen-Analysen: Die
Grippe-Erreger, die sie aus den verendeten Wildvögeln isoliert haben,
unterscheiden sich von den bisher bekannten H5N1-Viren. Das
Vogelgrippe-Virus ist offenbar mutiert.
Genau vor solchen Veränderungen fürchten sich Grippe-Experten. Denn
wenn H5N1 wandlungsfähig genug ist, kann es womöglich eines Tages auch
von Mensch zu Mensch übertragen werden. Seit Ende 2003 haben sich in Südostasien
gut 100 Menschen mit dem Vogelgrippe-Erreger infiziert, 55 von ihnen sind
gestorben.
Noch ist das Virus ein Vogelvirus, das nur ab und an einen Menschen krank
macht. Aber das wird sich nach Ansicht der Weltgesundheitsorganisation
(WHO) bald ändern. In jedem Jahrhundert wird die Menschheit zwei- bis
dreimal von einer weltweiten Grippewelle, einer Pandemie, heimgesucht,
die ihren Ausgang meist in Tierviren nimmt. 1918 starben dabei mindestens
30 Millionen Menschen. Die letzte schwere Grippewelle erfasste den
Planeten 1968 - und liegt damit schon deutlich länger als die 27,5 Jahre
zurück, die durchschnittlich zwischen zwei Pandemien vergehen.
Tod binnen 20 Stunden
Was die Experten an den neuen Analysen besonders
beunruhigt: Die nun isolierten Viren sind besonders aggressive Varianten
des ohnehin angriffslustigen Erregers, wie einzelne Mutationen erkennen
lassen. Im Tierversuch haben die Wildvogel-Viren ihre Zerstörungskraft
bereits bewiesen. Denn die Forscher haben sowohl Hühner als auch Mäuse
mit den neuen H5N1-Viren infiziert. Binnen vier Tagen starben alle Mäuse,
die Hühner waren sogar schon nach 20 Stunden tot. Dagegen ist das
Vogelgrippe-Virus, das Asiens Geflügelfarmen seit knapp zwei Jahren
heimsucht, regelrecht zahm.
Dass der neue Erregertyp neben Möwen auch Wildgänse befallen hat, gefällt
den Experten gar nicht. "Das Vorhandensein dieses Virus bei Zugvögeln
ist besonders besorgniserregend", sagt der Grippe-Experte der WHO,
Klaus Stöhr. Im Qinghai-Naturschutzgebiet treffen sich Zugvögel aus Südostasien,
Sibirien, Australien und Neuseeland. Und wenn sich die Tiere von Herbst
an auf den Weg nach Süden und Westen machen, können sie den Erreger
schnell über die ganze Welt verbreiten. "Selbst eine kurzzeitige
Virusausscheidung bei Tieren, die über weite Distanzen fliegen, kann zu
einer großen Verbreitung führen", so Stöhr.
Zögerliche Informationspolitik
Mit Sorge betrachten die Grippe-Beobachter von
WHO und Vereinten Nationen daher die Informationspolitik der asiatischen
Länder. Auf einem UN-Expertentreffen, das bis zum gestrigen Mittwoch in
Kuala Lumpur stattfand, wurde neben Laos und Myanmar auch China erneut
kritisiert. Drei Wochen mussten die internationalen Fachleute warten, bis
sie den Ausbruch am Qinghai-See untersuchen durften. In drei Wochen aber
könnte ein an den Menschen angepasstes Virus durch den modernen
Flugverkehr schon um die halbe Welt gejettet sein.
Ausgerechnet in Asien hätten die Bewohner dem Erreger kaum etwas
entgegenzusetzen. Dort, wo die Seuche ihren Ausgang nehmen wird, gibt es
kaum Arzneimittelvorräte oder Warnsysteme. Das erste Krankenhaus
Indonesiens zum Beispiel, das für die Behandlung von
Infektionskrankheiten zuständig ist, besitzt derzeit gerade genug
Grippemedizin, um acht Menschen zu behandeln.
Die Gesundheitsminister der deutschen Bundesländer haben sich dagegen
Ende vergangener Woche nach langen Diskussionen für eine bessere
Vorsorge ausgesprochen. Monate später als in anderen Ländern stehen nun
auch hier eine genauere Überwachung und der Ankauf von Medikamenten auf
dem Programm. Es sei schließlich nicht mehr die Frage, ob eine
Grippe-Pandemie ausbreche, zitierten die Minister die WHO, sondern nur,
wann und wie heftig sie werde.
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